Sonntag, 25. März 2012

24. März oder „Nunca Mas“ das argentinische „Nie wieder“ – Erlebnis

Noch nicht lange hier und schon steht einer der wichtigsten nationalen Gedenktage an, der 24. März. Viele Leute sind auf der Straße und ein Gedenkmarsch durch die Innenstadt. An eben jenem Datum putschte 1976 ein konservativ eingestelltes Militärbündnis oder Junta um Jorge Rafael Videla. Als Begriff wurde der „Prozess der nationalen Reorganisation“ selbst gewählt, was auch im gewissen Maße, wenn auch negativ zutrifft.

El dia de la memoria. Im Zuge vieler rechtsstehender Militärregimes in Lateinamerika in den 60er bis 80er Jahren, ging auch dieses Bündnis gegen Oppositionelle mit aller Härte vor. Bekannt, allgegenwärtig und berüchtigt sind die 30.000 Desaparecidos, die Verschwunden. Über das plötzliche Verschwinden von Oppositionellen, Studierenden und anderen Gruppen von Unschuldigen wussten Freunde, Bekannte und Angehörige der personas no grata nichts. Zur jener Zeit eine neuartige Methode unliebsame Andersdenkende verschwinden zu lassen, auch mit der Intention, dass die gemarterten Leichen nicht gefunden werden sollten. Schlussendlich wussten oder wissen nahestehende Personen bis heute nicht, was passierte. Bekannt sind die im Flugzeug Verschleppten, lebend aus dem Flugzeug aus der Höhe in den Rio de la Plata geschmissen wurden, manche Leichen sind später an Land gespült wurden. Viele der Mütter (madres) und heutzutage Großmütter (abuelas) etablierten wöchentlich stattfinden Protestmärsche, um ein Zeichen für ihre verschollenen Kinder zu setzen. Diese Märsche finden in Buenos Aires vor dem Präsidentenpalast auf dem „Plazo del Mayo“ statt, obwohl dies anfangs streng verboten war. Als Symbol und auf vielen Graffitis hier verewigt und sichtbar ist das Kopftuch der Mütter.

Ohne detailliert auf den Verlauf des asymetrisch verlaufenden, auch „dreckigen“ Krieg (guerra sucia), eingehen zu können, ist es doch ein Ereignis, was die Leute sehr bewegt und welches noch im Begriff der „nationalen“ Aufarbeitung ist. Bei der Demonstration, bei der ich mit Jacob und argentinischen Freunden war, sah man illuster alle möglichen Fahnen, Symbole oder Forderungen des linken Spektrums wehen oder auf Plakaten gedruckt. Ob Hammer und Sichel, der Nationalsohn Ernesto Guevara, Leo Trotzki oder die kubanische Flagge, die Kategorien der politischen Linken sind hier sicherlich anders. Wer würde in Deutschland sich heute noch mehrheitlich zu Hammer und Sichel bekennen? Außer vielleicht nun Gesine Lötsch und Teile der Linkspartei, dennoch ist die Sicht und Einstellung hier anders ohne real erlebten Sozialismus.

Wirklich erschreckend sind die Lager, in denen die Desaparecidos oft verschleppt, gefoltert und meist getötet wurden, auch hier direkt bei Córdoba. Insgesamt habe ich mehrfach gelesen, dass diese mit den Konzentrationslagern der NS-Zeit verglichen werden und heute ebenso historische Gedenkstätten sind.

Das Besondere an dem Protestmarsch dieses Jahr war, dass es eigentlich zwei Märsche gab. Einer pro Christina Kirchner, also pro Regierung – und einer kontra. Wenn ich das richtig verstanden habe, liegt es an dem Amnestiegesetz und den Gnadenerlassen, insbesondere dem Schlusspunktgesetz, welches von Christinas Ehemann Nestor Kirchner und früheren Präsidenten aufgehoben wurde. Dadurch findet auch heutzutage noch die Strafverfolgung ehemaliger Mitglieder der Militärjunta statt. Ein Vorwurf des Contra-Marsches ist, dass dies aus wahlkampftaktischen Strategien entsprang und insofern scheinheilig gewesen sein soll.
Wie dem auch sei, wir liefen jedenfalls bei dem Pro-Kirchner Marsch mit. Eigentlich entspricht das auch meiner persönlichen Meinung; eher pragmatisch als dogmatisch. Und selbst wenn es aus taktischen Gründen entstand, so ist es doch besser als gar nicht.

Dennoch ist der Prozess der Aufarbeitung wahrscheinlich nicht vergleichbar mit dem der Entnazifizierung, sondern eher der Aufarbeitung der SED-Diktatur bei uns. Ein permanentes Ausbalancieren, wer inwiefern schuldig sei, wer nicht; wer welche Berufe ausüben dürfe mit politscher Vergangenheit und wo die Grenzen zu ziehen sind zwischen Amnestie und Schuld.

Der Chef der Junta Jorge Rafael Videla lebt übrigens noch, nachdem einige Prozesse gegen ihn gelaufen sind, er mehrmals begnadigt wurde und jetzt lebenslänglich in einer gewöhnlichen Haftanstalt verbringt.
anne.c - 1. Apr, 14:05

Herzlichen Glückwunsch

Lieber Moritz, mit großer Freude haben wir zur Kenntnis genommen, dass Du über Dein Ergehen Tagebuch führst. Wir werden es mit Interesse verfolgen. Heute, am Sonntag, beim Mittag lasen wir Großmutti Deine ersten Schilderungen vor, und so werden wir es weiter halten. Es ist spannend, authentisch und zeitnah über eine so entfernte Welt zu erfahren. Vielen Dank!

Grüße von der Ostsee, dem Baltischen Meer, von Petr und Anne

Martin Möller - 15. Apr, 16:31

Militärdiktatur

Ich hoffe, es ist Dir klar, daß die SPD-geführte Bundesregierung Unmengen an Waffen und auch AKW an die "Militärjunta" geliefert und auch sonst sehr enge Beziehungen gepflegt hat. Das Abenteuer von 1982 wäre ohne diese großzügige Unetrstützung wohl kaum möglich gewesen.

WaMa - 22. Apr, 14:36

Geburtstagsgrüße aus Potsdam

Lieber Moritz - zunächst zum Geburtstag in der weiten Ferne die herzlichsten Grüße in der Hoffnung, dass es Dir ringsherum gut geht.
Möge das neue Lebensjahr Dir Gottes reichen Segen bescheren - darin enthalten ein Wohlbehütet ein auf allen Deinen Wegen.

Als Zuschauer bzw. oder stummer Leser (oder wie sagt man zu einem sich nicht zu erkennen gebenden Nutzer) heben ich/wir Deine interessanten Beiträge gelesen - Danke dafür.

Gern hätte ich Dir ein auf unserer gestrigen Fahrradtour durch das Havelland entstandene Foto mit in voller Blüte stehenden Kirschbäumen zum Geburtstag geschickt - aber ich bin dessen Technik in Deinem Block nicht mächtig - vielleicht gibst Du mir mal bei Gelegenheit ein wenig Nachhilfe - aber die Anmeldung habe ich immerhin schon mal hingekriegt!
Lass es Dir gut gehen - und auf Deinen Chile-Bericht freue ich mich schon - herzl. Waltraut

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