Donnerstag, 14. Juni 2012

Interkulturelle Karambolage

Da ich bisher meist in einem leicht euphorischen Ton Stadt, Land und Leute beschrieben habe, denke ich, ist es nun einmal Zeit Sachen zu nennen, die für den durchschnittssozialisierten Mitteleuropäer ungewohnt daherkommen können.

Ein Beispiel, was mir täglich begegnet, hat Paul Watzlawick, Psychologe und Psychotherapeut seines Zeichens, in einem Abriss über die konstruierte Wirklichkeit (bzw. den Konstruktivismus) gut beschrieben. Hier gehe ich in der Innenstadt spazieren, zum Sprachkurs oder beispielsweise mir das Deutschland Europameisterschaftsspiel anschauen. Die Straßen sowieso schon eng, gedrängt und schmal und die Leute weichen mir nicht aus. Also sie weichen mir nicht aus, so dass ich ausweichen muss, wenn sich unsere Wege kreuzen. Das bringt mich unterbewusst doch in eine Stresssituation, da man sich irgndwie eingeengt fühlt.

Das liegt letztlich an der unterschiedlich wahrgenommen Körperdistanz. Lateinamerikaner haben eine andere natürliche Distanz zum Gegenüber als Westeuropäer und Nordamerikaner.
Das Beispiel Paul Watzlawicks illustriert dasselbe Prinzip; in einem Reitclub in Sao Paulo, Brasilien musste die Terrasse umgebaut werden bzw. das Geländer erhöht werden. Warum? Den Club besuchten sowohl Europäer als auch Lateinamerikaner; während diese sich unterhielten, wichen die Europäer meist unwillkürlch ein Schritt zurück, da die Distanz für sie meist als zu aufdringlich empfunden wurde. Andersherum wurde die Distanz als zu weit weg empfunden für die Brasilianer, weshalb diese wiederum heranrückten, so dass die Gringos, also Europäer, von der Terrasse fielen. Hups!

Dass sich dies im Verkehr auch sehen lässt, liegt nahe. Busse, die sich mit 5 mm Seitenabstand überholen, Fußgängerwege, die von Autos abgeschnitten werden, der Fußgänger flüchten muss oder die Fußgängerampel ignoriert wird, sind keine Seltenheit. Dennoch möchte ich nochmal sagen, dass ich hier lediglich über Unterschiede schreibe und diese keineswegs werten möchte!

Vielleicht eine andere Sache, die auch anders ist, mich lediglich irritiert hat. So wurde ich auf der Arbeit während der Morgenversammlung mit allen anwesenden Kindern, Praktikanten und Erziehern/Lehrern gefragt, ob ich eine Freundin hätte. Zwei Mal bereits und von einer Lehrerin wohlgemerkt. Das wäre in Deutschen Lande wohl nicht passiert. Auch berichtete meine Sprachlehrerin Romina, dass sie am Anfang sämtlich solche Fragen gestellt habe, typisch argentinisch eben, auch Fragen über den/die Freund/in. Mittlerweile macht sie dies nicht mehr, nachdem eine Schülerin in Tränen ausgebrochen ist und ihr ein Schüler erklärt hat, dass dies privat sei und sie nichts angeht.

Für mich hat dies aber eine positive Seite, dass die Trennung zwischen Privat und Arbeit nicht so streng ist. Auch beim Gemüsemarkt, bei dem ich um die Ecke regelmäßig Obst einkaufe, halten wir meistens ein Smalltalk, wie es geht, über das ständig wechselnde Wetter, die Sprache und überhaupt. Dies passiert hier –zumindest in Córdoba – bei sehr vielen Gelegenheiten. Anfangs – natürlich mit Sprachproblemen und sowieso – habe ich mir da noch ein Kopf gemacht, wie ich so was überhaupt sage und was ich dann auch sage. Aber auch, wenn es „Wie geht’s?“ „Gut und dir?“ „alles okay“ ist, weiß man immerhin, wie es dem anderen geht (auch wenn man gut sagt, wenn es nicht gut geht;) Wie das wohl bei Edeka oder Kaufland an der Kasse wäre? Sicherlich ungewohnt, dennoch versuche ich das beizubehalten, mal sehen, ich bin gespannt.

Was Romina aber eben auch meinte, dass generell die Mittel- und Nordeuropäer als zu individuell oder egozentrisch wahrgenommen werden, da sie sich selten nach den Befindlichkeiten der Argentinier/innen erkundigen. Was auch daranliegt, dass Argentinier/innen von Natur aus viele Fragen stellen und auf das Soziale mehr Wert legen. Dennoch merken sie genau, wenn der andere dies eben nicht tut. Ich zum Glück dort etwas ausgenommen, da ich mich von Natur aus für die anderen interessiere und auch frage. Das nächste Mal hoffe ich mehr über das Praktium schreiben zu können. Hasta luego!

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