Donnerstag, 19. April 2012

parte 1 Chile - Santiago, die Gringos und ich Kind (-chen) mittendrin

Am dämmrigen Abendhimmel sieht man die Anden im watteweißen Wolkendunst eingehüllt, ich im Flugzeug und vorfreudig gespannt. Anlass ist mein einwöchiger Trip nach Santiago de Chile, um Gesa, eine Freundin zu besuchen. Dankbarerweise kann ich bei der Gastmutter Yali, die sehr herzlich und gastfreundlich ist, mitwohnen in einer kleinen, einfachen, aber hübschen Wohnung im Zentrum der Stadt. So wie sie die anderen Untermieter/-innen „Hijos“ (Kinder) nennt, die sie beherbergt, um das Studium ihres Sohnes zu bezahlen, so war ich auch ein Kind(-chen).

Im Gegensatz zu Argentinien ist in Chile wesentlich mehr privatisiert worden und die Unis nicht öffentlich und vom Staat finanziert. Ein eher neoliberaler Kurs, der in den 90ern in vielen Staaten Lateinamerikas adaptiert wurde. Bisher gilt Chile als eines der ökonomisch stabilsten Länder, auch wegen der stringenten Ausrichtung an US Wirtschaft und Politik. Dennoch kann eine zu starke Abhängigkeit auch eine Gefahr werden wie dies 2001 in Argentinien im Staatsbankrott endete.

Gesa, die ich dort besuchte und seit Gymnasiumzeiten kenne, arbeitet in einem Start-Up-Unternehmen. Wenn man eine gute interessante Idee hat, die realistisch umzusetzen ist, kann man sich anmelden. Die Chilenische Regierung hat ein Großprogramm für ausländische Unternehmensideen gestartet, so dass jede Geschäftsidee mit 40.000 US $ vom Staat gefördert wird und gleichzeitig ausländisches Kapital ins Land akquiriert. So kommen viele Leute aus USA, Kanada, Frankreich, Germany und anderen westlichen Ländern. Es gibt also viele „Gringos“ – ein Begriff aus der US-Besatzerzeit – „Green go“, gemeint waren die größtenteils weißen Soldaten (in grünen Uniformen), weshalb hellhäutige Leute nach wie vor als Gringos bezeichnet werden. Yali, die Gastmutter, meinte dennoch, dass das Geld lieber in soziale Projekte gesteckt werden solle und so die Schulbildung leichter finanziert werden könne, was mir als logisch erscheint. Dennoch ist die Wirtschaftsphilosophie in Chile traditionell eine andere.

Auch mit Gesas Mitbewohner „Orpheus Rising“, unter bürgerlichen Namen Miguel Navarette,verstand ich mich gut. Ein Spitznamen wie es zu einem illustren, barfußlaufenden Philosophiestudenten, der jedes Hippietum dennoch bestreitet, ganz gut passt Sein Vater aus Chile in die USA eingewandert, seine Mutter Amerikanerin, studiert er ein Semester in Santiago und sein Lieblingsdichter ist Rainer Maria Rilke. Auch alle seine Lieblingsphilosophen sind deutschsprachig, wie -der etwas umstrittene- Heidegger. Auch so begegnet man “Heimat“ fernab. Jedenfalls bin ich so mal dazu gekommen einige Gedichte Rilkes, auch Pablo Nerudas zu lesen und auch darüber zu sprechen.

Wie dem auch sei, Santiago ist eher eine Stadt nach westlichem Vorbild – Überraschung – eher könnte man denken in einer Mischung aus europäischen und US-City zu sein als in einer Lateinamerikanischen Metropole. Neben dem Dichter Pablo Neruda Haus (die Chilenen sind sehr stolz auf ihre beiden Literaturnobelpreisträger), einer aussichtsreichen Sicht von Sankt Cristobal mit einer riesigen Marien-Statue und dem Präsidenten Palast „La Moneda“ mit einer überdimensionalen, surrealistisch großen Chile Flagge, hat mich besonders das Museum der Menschenrechte interessiert, positiv überrascht und begeistert.

parte 2, Chile - 11. September 1973 – El presidente ha muerto, viva el presidente

In vielen Reiseführern ist von der eher konservativen Haltung der Chilenen zu lesen, deren Zurückhaltung und eher introvertierter Charakter, wenn man das mal so pauschalisieren darf. Auch gerade im Gegensatz zu den Argentiniern gibt es einige Unterschiede zwischen beiden Ländern, die sich nicht nur wegen der umstrittenen Grenzziehung in Patagonien nicht besonders gut verstehen. „Chile werde von Argentinien an den Pazifik gedrückt“ meinte Yali, die Gastmutter, und auch dass der General und Diktatur Pinochet britische Truppen hat landen lassen, um die Briten beim Falklandkrieg zu unterstützen, wird nach wie vor von den Argentiniern nicht vergessen.

Dennoch zeichnet das Museum der Menschenrechte ein ganz anderes Bild. So sind zahlreiche Gedenkstätten im ganzen Land zu sehen, Filmaufnahmen des Staatsstreiches. Es ist sicherlich schwierig ein Museum auch den Opfern gerecht zu gestalten, die während der Pinochet-Diktatur umkamen oder verschwanden. Beispielsweise gibt es eine riesen Fotowand über zwei Stockwerke, auf der sämtliche Passbilder von Desaparecidos zu sehen sind. Ziemlich beeindruckend, insgesamt gab es 250.000 Exilierte und weit mehr als 27.000 Gefangene und Folteropfer sowie konkret 2.095 Todesopfer. Auch beeindruckend sind die Aufnahmen des Umsturzes und der letzten Rede Allendes am 11. September 1973 (auf das sich auch die Überschrift bezieht), kurz vor seinem Suizid höchstwahrscheinlich. Eindringlich auch die Folterinstrumente, die zu sehen sind und Zeitzeugenberichten von Angehörigen und Betroffenen. Allgemein ist die andere Seite der Opposition wie die der Kirche, insbesondere des Erzbischofes von Santiago Raúl Silva Henríquez, interessant dargestellt und zeigt, dass die oppositionelle Bewegung auch aus der Mitte der Gesellschaft kam.
Yali, die Gastmutter berichtete auch, dass von ihr einige Freunde verschleppt worden waren zu Studentenzeiten. Andererseits hat sie auch erzählt von der schwierigen Zeit zuvor, bürgerkriegsähnliche Zustände, Nahrungsmittelknappheit und allgemein eine ziemlich prekäre Lage in Chile. Daher erscheint der Putsch in Ansätzen nachvollziehbar, was aber natürlich keineswegs eine Rechtfertigung ist. Noch 1990 waren 41 % der Chilenen der Meinung, dass es 1973 keine andere Möglichkeit als den Putsch gab.

Auch gab es Protestsongs zu hören von chilenischen Liedermachern und die Aufzeichnung einer riesen Festlichkeit 1990, nach dem Ende der Diktatur im Nationalfußballstadion in Santiago. Der damalige Präsident und Christdemokrat Aylwin (1990–1993) wählte den symbolischen Ort, weil auch im Stadion souterrain viele andersdenkende Menschen makabererweise gefoltert wurden. So sollte dies als Erinnerungs- und Gedenkort fungieren.
Dennoch handelt es sich um ein Phänomen, das schwierig zu verstehen ist. Große Teile der Upper-class und der mittleren Oberschicht rund um Santiago feierten Pinochet als „Retter der Nation“ und die Gesellschaft ist tief gespalten mit dem Erbe. Die Aufarbeitung ging schleppend voran, weil nach seiner Zeit als Präsident Pinochet weiterhin Oberbefehlshaber des Militärs war
und er so viel Einfluss hatte.

Interessant in diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass die frühere Präsidentin Michele Bachelet ebenso Exilantin war in der DDR, die viele Flüchtlinge aus Chile „aus sozialistischer Solidarität“ aufnahm. So lebte sie eine Zeit in Potsdam, Am Stern und hatte eine Kinderarztpraxis, woher meine Eltern sie kannten. Ihre Position war, dass es nach Pinochets Tod kein Staatsbegräbnis geben solle, sondern eines des hohen Militärs, was nicht unumstritten war.

Schlussendlich geht es wieder nach Argentinien mit vielen Eindrücken und ich wurde -Gott sei Dank- verschont von Margot Honecker mit dem Gartenschlauch bespritzt zu werden, obwohl sie aus dem Exil wieder Interviews gibt. Hola Chile, Adé!

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