Sonntag, 25. März 2012

Dos mediaslunes en Montevideo

Die Reise beginnt am 10. März von (noch) Berlin Tegel. Nach Wochen des rastlosen Verabschiedens, einer fiesta grande und organisatorischem Hokuspokus, wurde es nun Zeit, dass es losgeht. Berlin-Madrid-Montevideo-Córdoba also vamos.

Abflug um 20:10 Uhr: Jetzt ist alles gesagt, was gesagt werden musste; getan, was getan werden sollte. Endlich und doch wird die Ungewissheit irgendwie bewusst und die zahlreichen Dinge der letzten Wochen verblassen. Mit einem Ohr noch das Noel Gallagher Konzert des Vortages im Ohr, mit dem anderen höre ich das erste Spanisch. Und der Cortisolspiegel sinkt. Nach drei Flugstunden In Madrid macht sich die Gelbfieberimpfung des letzten Montags bemerkbar und mündet in einem fiebrigen Zustand zwischen Reiseeuphorie, Schlaflosigkeit und Übelkeit. Nach 11800 km, Halbschlaf und einem blutorangefarbenem Sonnenaufgang über Brasilien, komme ich dann doch mit neuen Kräften in Montevideo an.

Es verbleibt etwas Zeit zwischen den Flügen. Das Frühstück besteht aus einem Café con leche, Orangensaft und dos Mediaslunes. Kleine Croissants, die tatsächlich an Halbmonde erinnern und was der spansichen Übersetzung entspricht. Schließlich geht der (für mich letzte) Transitflug nach Córdoba. Von Europa werden hauptsächlich die Hauptstädte in Südamerika angeflogen. Nach anderthalb Stunden lande ich dann endlich im spätsommerlich-warmen Córdoba.

Wie der Zufall es will und dankbarerweise ist gerade Jacob, ein Freund aus Berlin, über längere Zeit in Córdoba und holt mich vom Flughafen ab. Auf mit dem Bus in den Norden der Stadt: Alto-Córdoba, wo ich das nächste halbe Jahr wohnen werde bei einer Freundin Jacobs. Morgen und in den kommenden vier Wochen findet erstmal der Intensivspanischkurs statt. ¡Venga, es bleibt viel zu lernen, zu sehen und zu erkunden!

24. März oder „Nunca Mas“ das argentinische „Nie wieder“ – Erlebnis

Noch nicht lange hier und schon steht einer der wichtigsten nationalen Gedenktage an, der 24. März. Viele Leute sind auf der Straße und ein Gedenkmarsch durch die Innenstadt. An eben jenem Datum putschte 1976 ein konservativ eingestelltes Militärbündnis oder Junta um Jorge Rafael Videla. Als Begriff wurde der „Prozess der nationalen Reorganisation“ selbst gewählt, was auch im gewissen Maße, wenn auch negativ zutrifft.

El dia de la memoria. Im Zuge vieler rechtsstehender Militärregimes in Lateinamerika in den 60er bis 80er Jahren, ging auch dieses Bündnis gegen Oppositionelle mit aller Härte vor. Bekannt, allgegenwärtig und berüchtigt sind die 30.000 Desaparecidos, die Verschwunden. Über das plötzliche Verschwinden von Oppositionellen, Studierenden und anderen Gruppen von Unschuldigen wussten Freunde, Bekannte und Angehörige der personas no grata nichts. Zur jener Zeit eine neuartige Methode unliebsame Andersdenkende verschwinden zu lassen, auch mit der Intention, dass die gemarterten Leichen nicht gefunden werden sollten. Schlussendlich wussten oder wissen nahestehende Personen bis heute nicht, was passierte. Bekannt sind die im Flugzeug Verschleppten, lebend aus dem Flugzeug aus der Höhe in den Rio de la Plata geschmissen wurden, manche Leichen sind später an Land gespült wurden. Viele der Mütter (madres) und heutzutage Großmütter (abuelas) etablierten wöchentlich stattfinden Protestmärsche, um ein Zeichen für ihre verschollenen Kinder zu setzen. Diese Märsche finden in Buenos Aires vor dem Präsidentenpalast auf dem „Plazo del Mayo“ statt, obwohl dies anfangs streng verboten war. Als Symbol und auf vielen Graffitis hier verewigt und sichtbar ist das Kopftuch der Mütter.

Ohne detailliert auf den Verlauf des asymetrisch verlaufenden, auch „dreckigen“ Krieg (guerra sucia), eingehen zu können, ist es doch ein Ereignis, was die Leute sehr bewegt und welches noch im Begriff der „nationalen“ Aufarbeitung ist. Bei der Demonstration, bei der ich mit Jacob und argentinischen Freunden war, sah man illuster alle möglichen Fahnen, Symbole oder Forderungen des linken Spektrums wehen oder auf Plakaten gedruckt. Ob Hammer und Sichel, der Nationalsohn Ernesto Guevara, Leo Trotzki oder die kubanische Flagge, die Kategorien der politischen Linken sind hier sicherlich anders. Wer würde in Deutschland sich heute noch mehrheitlich zu Hammer und Sichel bekennen? Außer vielleicht nun Gesine Lötsch und Teile der Linkspartei, dennoch ist die Sicht und Einstellung hier anders ohne real erlebten Sozialismus.

Wirklich erschreckend sind die Lager, in denen die Desaparecidos oft verschleppt, gefoltert und meist getötet wurden, auch hier direkt bei Córdoba. Insgesamt habe ich mehrfach gelesen, dass diese mit den Konzentrationslagern der NS-Zeit verglichen werden und heute ebenso historische Gedenkstätten sind.

Das Besondere an dem Protestmarsch dieses Jahr war, dass es eigentlich zwei Märsche gab. Einer pro Christina Kirchner, also pro Regierung – und einer kontra. Wenn ich das richtig verstanden habe, liegt es an dem Amnestiegesetz und den Gnadenerlassen, insbesondere dem Schlusspunktgesetz, welches von Christinas Ehemann Nestor Kirchner und früheren Präsidenten aufgehoben wurde. Dadurch findet auch heutzutage noch die Strafverfolgung ehemaliger Mitglieder der Militärjunta statt. Ein Vorwurf des Contra-Marsches ist, dass dies aus wahlkampftaktischen Strategien entsprang und insofern scheinheilig gewesen sein soll.
Wie dem auch sei, wir liefen jedenfalls bei dem Pro-Kirchner Marsch mit. Eigentlich entspricht das auch meiner persönlichen Meinung; eher pragmatisch als dogmatisch. Und selbst wenn es aus taktischen Gründen entstand, so ist es doch besser als gar nicht.

Dennoch ist der Prozess der Aufarbeitung wahrscheinlich nicht vergleichbar mit dem der Entnazifizierung, sondern eher der Aufarbeitung der SED-Diktatur bei uns. Ein permanentes Ausbalancieren, wer inwiefern schuldig sei, wer nicht; wer welche Berufe ausüben dürfe mit politscher Vergangenheit und wo die Grenzen zu ziehen sind zwischen Amnestie und Schuld.

Der Chef der Junta Jorge Rafael Videla lebt übrigens noch, nachdem einige Prozesse gegen ihn gelaufen sind, er mehrmals begnadigt wurde und jetzt lebenslänglich in einer gewöhnlichen Haftanstalt verbringt.

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