Nun ist es doch so weit, dass die Heimreise bereits unmittelbar bevorsteht. Ein Moment der vorher jenseits meines Vorstellungsvermögens lag. Nachdem letzten Monat an Reisen, wird es auch Zeit und insgeheim zähle ich die Tage. Die letzten Wochen waren noch sehr ereignisreich, da Agi und zwei Freunde aus Berlin – Olli und Jacob – zu Besuch waren und wir gemeinsam Richtung Nordargentinien und dann nochmal 'gen Chile gestartet sind. Nach wie vor habe ich das Gefuehl, das Land nicht wirklich verstanden zu haben, Hin und hergerissn zwischen den Extremen, sehr stolz und gleichzeitig den Blick sehr nach Europa gerichtet, die hochste Psychoanalytikerdichte pro Kopf weltweit, sich selbst bewundernd und bemitleidend und irgendwie ungluecklich in sich selbst verliebt. Wie dem auch sei;
Die letzten Tage im Praktikum waren noch sehr schön, als Abschied gab es natürlich einen Apfelstrudel XXL und ich wurde sehr herzlich verabschiedet. Schwer zu realisieren, dass man nie wieder an dieser Stelle arbeiten wird, eventuell mal zu Besuch, wobei die Situation eine ganz andere sein wird. Als Erfahrung sicherlich eine sehr schöne Zeit, wobei ich auf Dauer diese Arbeit – glaube ich – nicht machen könnte. Als ich dies während eines Stuhlkreises erklärte, dass dies meine letzte Woche sei, waren die Kinder leicht erschrocken und wollten als spontane Geste, Geschenke mitbringen, was natürlich bei der Idee an sich blieb.
Dennoch bekam ich als Abschiedsgeschenk von den Kollegen einen Matebecher mit Matetee, der hier bei jeder Gelegenheit exzessiv getrunken wird, ob Arbeitsversammlung, mit Freunden oder beim Fernsehen.
Und dann ging die Reise auch schon los:
Zunächst haben wir einen Jeep gemietet, der erstaunlicherweise verhältnismäßig günstig war. Dann Richtung Norden Tucuman – Cafayate – Salta und Tilcara. Tucuman ist insofern sehenswert als das es eine sehr durchschnittliche argentinische Stadt ist und so einen repräsentativen Eindruck vermittelt. Zudem wurde hier die argentinische Unabhängigkeit 1810 unterzeichnet bzw. erkämpft. In Cafayate gibt es mit den besten Wein Argentiniens und wir haben eine super Wandertour durch eine Steilschlucht gemacht.
Einzigartige Blicke, die man eigentlich nur mit Fotos beschreiben kann und viele Klettereinlagen, die überraschenderweise recht anspruchsvoll waren. Wobei ich Glück hatte, da ich von einem zwei Meter hohen Felsen gefallen, doch außer einer leichtern Stauchung nichts passiert ist.
In Salta, der wohl schönsten Großstadt des argentinischen Nordens, sind wir zufällig in eine Hosteleröffnung gekommen. „Locki – Hostels“ nennt sich die Kette (ja wie unsere Katze) und wir konnten kostenlos in den neuen Betten schlafen. Dadurch, dass das Hostel extra für Backpacker ist und etwas außerhalb der Stadt lag, hatte das noch seinen ganz eigenen Reiz mit einem halbverlassenen Feld, rumlaufenden Hunden und Krähen, die über der Anlage schwebten. Neben einigen Engländern, die das Hostel aufbauen, haben wir auch einige Argentinier kennengelernt und natürlich argentinischen Wein und Bier. Landschaftlich sehr schön und abwechslungsreich, da wir innerhalb von 100 - 200 Km ca. drei Vegetationszonen durchquerten wie subtropischer Regenwald, eine Art Kakteenwüste und eine Art Canyonlandschaft mit einzigartigen Felsformationen, wo wir ein einsames schwarzes Pferd getroffen haben und Felsen mit bis zu 7 unterschiedlichen Steinfarben. Tilcara war die nördlichste Station, ein kleines süßes Dorf, wobei wir in einem kleinen idyllischen Hostel wohnten, dass von Hippies betrieben wurde. Dort über den Markt schlendern war auch besonders, da der Norden noch billiger als andren Regionen und mehr von indigenen Einwohnern geprägt ist als Córdoba, Buenos Aires und der Süden des Landes.
Von dort sind wir relativ zügig wieder Richtung Córdoba, wobei wir noch bei einem ominösen Sandwichverkäufer an einem etwas abgelegenen Straßenrand ein Sandwich kauften, woraufhin Agi und ich die nächsten Tage ziemlich krank, erschöpft und Magenbeschwerden hatten.
In Córdoba angekommen, gab es noch eine kleine Abschiedsfeier, zu der wir typischen Kartoffelsalat gemacht haben und bei der ich mich noch von meinen argentinischen Freunden verabschieden konnte und wir ein letztes Mal tanzen und feiern konnten. Und daraufhin beschäftige uns die Frage, wie wir wohl weiterreisen könnten. Nach langem Hin- und Her zwischen Buenos Aires, Mendoza und auch Igazu, haben wir uns für Mendoza und Chile entschieden. Durch die Pampa, Córdoba Lebe wohl gesagt und 700 Km Richtung Süden, wobei die Entfernung auf der Karte wie ein Katzensprung aussieht, uns aber mit Jeep um die 10 Stunden Autofahrt gekostet hat. Dabei wurden wir von der Polizei einmal kontrolliert, schon relativ nahe der chilenischen Grenze, wo unser Obst und Gemüse das Interessante war. Also wir hatten 2 Zitronen und einige Bananen mit, ich gebe es oeffentlich zu. Aber dies waren wirklich die Objekte des vollen Interesses der Beamten. Später in einem Hostel in Chile wurde uns gesagt, dass dies normal sei und die Agrikulturbehörden sehr streng seien in Bezug darauf, da landwirtschaftliche Güter mit die wichtigsten Argentiniens sein.
Von Mendoza, wo wir einen Tag blieben, ging es dann über die Anden nach Valparaiso. Ganz ungewohnt die Grenzkontrolle , die länger als eine Stunde dauerte und wir viele unnötige persönliche Angaben machen mussten. Jedenfalls war es die ganze Mühe wert als wir die Abendsonne im Pazifik verschwinden sehen konnten. Da ich schon einmal ein Valparaiso war, muss sagen, dass es beim zweiten Mal um einiges schöner war und ich vieles gesehen habe, was beim ersten Besuch mit Gesa im April unentdeckt blieb, gerade die vielen Graffitis und alternativen, farbenfrohen Häuser, aber auch die etwas abgelegeneren Strände. Auch hatten wir eine interessante Diskussion mit einer Hostelmitarbeiterin, die etwas länger in New York gelebt hat, davon schwärmt und gleichzeitig den Westen verurteilt. Für mich insofern auch wieder interessant, da gerade Chile und Argentinien zwei sehr unterschiedliche Antworten auf die Abhängigkeit vom Westen gefunden haben. Während Argentinien so viel wie möglich den einheimischen Markt schützt durch Zölle, Protektionismus usw. ist Chile sehr neoliberal und hat eine ganz andere Willkommenskultur für westliche Unternehmen etc. Ich stelle mir das auch schwierig vor, da die Leute sehr stolz sind auf ihre Länder hier (wir haben unzählige Flaggen gesehen) und es aus eigener Kraft schaffen wolllen, dennoch immer wieder Erfahrung machen, dass man nur in Abhängigkeit vom Westen steht und auf die Investoren etc. angewiesen ist (wobei die großen Renditen dann vermutlich wieder nach Europa und USA gehen).
Unglücklicherweise wurde – fast zum Schluss der Reise – Agi von einem Straßenhund in eine Wade gebissen. Große Aufregung, Hektik und wir sind dann in eine Klinik, nachdem wir von einer andren Praxis dorthin geschickt wurden, mit teilweise Zuständen, die schwer erträglich sind für den gewohnten, verwöhnten Mitteleuropäer. Doch glücklicherweise ist nichts passiert und die Wunde konnte desinfiziert werden. Nach immerhin drei Stunden Wartezeit.
Auf den Rückweg von Chile haben wir dann noch den Aconcagua, den höchsten Berg Amerikas und außerhalb des Himalayas gesehen. Zwar in der Reihenfolge der höchsten Gipfel auf Platz 119, da alle anderen höhen im Himalaya sind, dennoch mit fast 7000 Metern an Höhe sehr beeindruckend, in Wattebällchen gehüllt, die teilweise an einen Heiligenschein erinnerten. Immerhin benötig man für den Auf- und Abstieg wohl mindestens 20 Tage mit Akklimatisieren, Höhenluft etc. Am letzten Abend in Mendoza vor der Trennung – da Agi, Jacob und Olli nach Buenos Aires müssen, ich in Mendoza bleibe da mein Flug von Santiago geht, kochen wir noch Nudeln mit Brokkoli, Sahnesauce, einem leckeren Wein und Salat als Abschiedsessen. Bon viaje – bon voyage. Die letzten Tage verbringe ich in Mendoza, der Weinhauptstadt, die auch mit die schönste und gleichzeitig langweiligste Stadt Argentiniens sein soll. Entspannt die letzten Vorbereitungen treffen bevor es nach Santiago und dann nach Deutschland geht. Ich freue mich.
Moritz J. Moeller - 26. Sep, 21:01
Schwer vorzustellen, doch der letzte Monat bricht an. Das heißt die letzten vier Wochen des Praktikums beginnen, bevor es auf eine Rundreise mit Schwester und zwei Freunden geht. Dabei bin ich erst kürzlich – vor zwei Wochen – nach Buenos Aires und Colonia in Uruguay gereist. Eigentliches Anliegen des Kurztrips: Ich musste mein Visum verlängern, da die 90 Tage seit dem Chileaufenthalt fast verstrichen waren.
Nur eine kurz eingeschobene Bemerkung über die Zeit hier: Manchmal schwer zu realisieren, dass ich schon viereinhalb Monate hier bin, da ich manchmal noch gar nicht begreifen kann, dass ich überhaupt hier bin. Irgendwie hat die Zeit eine andere Qualität, also sie vergeht sowieso schnell, dennoch ist das bewusste Wahrnehmen anders durch das Reisetagebuch (also was ich per Hand schreibe) und die vielen Eindrücke von Land und Leuten.
Buenos Aires – ich war relativ kurz in Buenos Aires, in einem Stadtviertel namens Palermo. Kopfsteinpflaster, Cafés, bunte Graffitis und europäische Architektur unterscheiden das Ambiente – für meinen Eindruck – nochmal recht anders zu Córdoba. Natürlich treffe ich zufällig eine bekannte Deutsche, die im gleichen Stadtviertel in Córdoba wohnt und mit ihren Eltern ebenso die Stadt erkundet. In einer Millionenstadt wie Buenos Aires schon echt erstaunlich! Der Busbahnhof – in Argentinien gibt es anstelle eines Bahnnetzes, relativ gute und komfortable Busverbindungen – liegt direkt an einem der ärmsten Stadtviertel Argentiniens (Villas = Fafelas). Also aufgepasst, sarkastischerweise liegt das Armenviertel direkt neben einem der reichsten Viertel Argentiniens, das natürlich einzäunt ist. Diese Dimensionen sind noch anders als in Europa, wobei Argentinien zu einem der reicheren Länder zählt, in dem es eine einigermaßen stabile Mittelschicht gibt. Dennoch kein Vergleich.
Als ich mich mit meiner Sprachlehrerin Romina und einem Kollegen auf Arbeit unterhalten habe, ein Mitte 50 jähriger Maler, der ein Workshop für die Kinder anleitet, ist mir nochmal bewusst geworden, was für große Unterschiede es in Argentinien gibt zwischen den einzelnen Provinzen und Buenos Aires. Ein Drittel (!) der argentinischen Bevölkerung wohnt in BA und dem Ballungsgebiet, in einem Land, so groß wie Indien, ist das schon ziemlich ungleich verteilt. Die anderen zwei Drittel der Argentinier, die in den "(Rest-)"Provinzen wohnen (die aber über 90% des Territoriums ausmachen), identifizieren sich wesentlich mehr mit ihren Provinzen als mit Argentinien (und damit Buenos Aires). Der Zentralismus ist noch stärker ausgeprägt als in Frankreich mit Paris (was wir in der Schule als Paradebeispiel für den Zentralismus gelernt haben, da ca. jeder 5. Franzose in der Hauptstadt wohnt). Hinzukommt, dass neben der Steuerbelastung zugunsten Buenos Aires‘ auch die mediale Präsens anders ist. Während das gesamte Land mitbekommt, was in der Hauptstadt abgeht, erfahren die Leute dort (in BA), nur News aus der Hauptstadt, da dies für sie Argentinien ist.
Die Porteños (Hafenbewohner), wie die Bewohner BA verächtlich genannt werden, tragen zu dem etwas negativen Image der Argentinier in Lateinamerika bei, dies besagt, dass Argentinier übertrieben wichtigtuerisch gestikulieren und sich als Zentrum Südamerikas sehen, bzw. sich eher zu Europa zugehörig fühlen als zu Südamerika. Auch das bestätige mir eine Mexikanerin, mit der ich mich darüber unterhalten habe. Doch insgesamt trifft dies nur für einen geringen Teil der Leute zu. Dennoch sei das Land davon entfernt eine Einheit zu bilden, meinte Biki, der Maler. So habe es nur zwei Phasen der relativen Einheit gegeben; einmal unter Peron, einem sehr berühmt, berüchtigten Präsidenten der 1940er Jahre, der viele Sozialreformen eingebracht hat, aber auch stark faschistisch, despotische Elemente vereinte(Dazu wahrscheinlich später mehr). Zum andren unter Nestor und Christina Kirchner, dem jetztigen Kirchnerismus, der teilweise an den Peronismus erinnert. Allerdings sei zu großen Fußballevents Argentinien immer ganz eins (wie in Deutschland etwa).
Ich hoffe, ich habe euch nicht unnötig damit ermüdet. Für mich ist dies aber wichtig, um Land und Leute zu verstehen, auch versuche ich nur das wichtigste zu schreiben. Um einen etwas lebendigeren Eindruck zu bekommen; Anlässlich der Hochzeit meines sehr guten Freundes Stefan, habe ich ein Video gedreht, mit den Leuten, die ich hier kennengelernt habe und mit denen ich zu tun habe. Einfach auf den Link klicken:
http://www.youtube.com/watch?v=fA89UGVfXsg&feature=youtu.beHoffe
Moritz J. Moeller - 1. Aug, 02:55
Mittlerweile ist es Anfang Juli, der Winter ähnelt einer Achterbahnfahrt, Tage über 30 Grad und andererseits Nächte unter 0 Grad. Und es sind Winterferien. Irgendwie komisch, dies zu schreiben, da die Wintersemesterferien gerade Mal circa 4 Monate her sind. Zwei Wochen bleiben die Kinder zu Hause und ich habe praktischerweise eben auch Ferien. Zeit um kurz durchzuatmen, nachzudenken und Resumé zu ziehen
Die (Sonder-)Schule, die eher einen antipsychiatrischen Ansatz (das heißt nicht strikt nach medizinischen vorgefertigten Krankheitsbildern geht) hat und sich auf den französischen Philosophen und Psychologen Lacan beruft, ist nicht nach Alter und Klassen unbedingt getrennt. Vielmehr gibt es verschiedene Workshops, die die Kinder im Alter von 5 bis 15 Jahren besuchen können. So besuche ich regelmäßig Mathematik, Märchen, so etwas wie Sachkunde und Gartenarbeit und gelegentlich Sprache und Spiele. Zum Teil können sich die Kinder die Workshops aussuchen, zum Teil sind diese vorgegeben und in den Altersgruppen dann gemischt, wobei schon einigermaßen auf Gleichaltrigkeit geachtet wird.
Mathe: Wir lernen gerade Zahlen von 1 bis 100 und darüber hinaus Addieren, Subtrahieren. Glücklicherweise kann ich da mit meinem Mathe-Abi auch alles gut nachvollziehen und Rechnen ;-)! Dennoch bereitet es den Kindern Schwierigkeiten, Zahlendiktate zu verfassen und einfach Subtraktionsaufgaben zu machen wie z.B.18-9, meistens auch mit Strichen als Hilfe. Letzten Donnerstag gab es dann einen kleinen Abschlusstest, der recht gut ausgefallen ist. In dem Fotoalbum könnt ihr euch auch Bilder aus der Schule und Unterricht anschauen, die ich hochlade.
Märchen: Eher eine Ruhestunde, Siesta - wir lesen verschiedene Märchen vor, dazu gibt es interaktiv ab und zu Knetspiele, bei denen wir Figuren, Situationen nachspielen aus dem Märchen. Dennoch verstehe ich nicht alle Märchen komplett und muss an der einen oder anderen Stelle nachfragen. Meine Rolle als Praktikant ist dabei eher eine Mischung als Lehrer, Aufsichtsperson und Person, die mit den Kindern spielt.
Sachkunde/Gartenarbeit: In Sachkunde, ähnlich dem unsrigen in der Grundschule, lernen die Kids grundlegende Zusammenhänge über die Natur, die Landschaft in Argentinien und überhaupt. Hier waren wir zum Beispiel im Zoo. Oder ich habe erfahren, dass es einen Ort in Argentinien gibt, hier in der Nähe in den Bergen, der der zentralste Ort Argentiniens ist und alle Distanzen gleich zu allen Grenzen sind. Gleichermaßen lernen wir (ja auch ich lerne mit auf Spanisch ) über den Aufbau einer Pflanze oder, welche Tiere Pflanzen oder Fleischfresser sind oder Blumen Pflanzen und gießen.
Sprache: Auch hier bin ich gelegentlich derjenige, der mit auf der Schulbank sitzt. Einfache Wörter buchstabieren, reimen, Silben trennen oder kleine Diktate gehören dazu. Wie bei Mathe gibt es relativ große Unterschiede zwischen den Kindern, was das Lernpensum anbelangt. Die Lehrerin ist aber super nett und alles läuft in einem geordneten Tempo ab.
Und sonst so: Puppentheater – machen 2 Lehrer und ein Musiker begleitet auf der Akustikgitarre. Ein lustiger Workshop, da die Kinder auch direkt angesprochen werden und viel improvisiert wird, wenn der Wolf aus dem Märchen beispielsweise das nicht ganz so gelungen Mensaessen schlecht verträgt und Bauchweh hat.
Radio: Wie Puppentheater findet dies jeden Freitag statt und hier machen wird eine Radioshow improvisiert. Reportagen über Fußball oder die Stadt, ebenso wie Musikauflegen und etwas dazu tanzen.
Letztens hatten wir ein Asado/Grillabend mit allen Arbeitskollegen und Praktikanten, was echt lustig war. Jeder brachte einen Salat oder was zum Grillen mit und Wein und Bier. Es wurde viel erzählt, getrunken und ich musste viel lachen. Unglücklicherweise hatte ich kein Geld auf dem Rückweg für das Taxi, habe das aber erst kurz vor der Haustür gemerkt. An und für sich nicht tragisch, aber an diesem Tag hatten die Geldlieferanten gestreikt, so dass jegliche Banken kein Geld mehr hatten. Erst bei der 3. großen Bank, nach einigen Anrufen bei Feunden, die mir Geld leihen könnten, aber geschlafen haben, konnte ich dann Geld abheben. Na immerhin sind Taxis hier im Vergleich günstig.
Abgesehen davon sind die Kollegen sehr nett und ich bin echt zufrieden mit der Praktikumsstelle. Nächste Woche geht es zu 90% erst mal Richtung Buenos Aires, bevor die letzten 6 Wochen Prak-tikum anfangen. Na dann Bon Voyage!
Moritz J. Moeller - 5. Jul, 18:08
Da ich bisher meist in einem leicht euphorischen Ton Stadt, Land und Leute beschrieben habe, denke ich, ist es nun einmal Zeit Sachen zu nennen, die für den durchschnittssozialisierten Mitteleuropäer ungewohnt daherkommen können.
Ein Beispiel, was mir täglich begegnet, hat Paul Watzlawick, Psychologe und Psychotherapeut seines Zeichens, in einem Abriss über die konstruierte Wirklichkeit (bzw. den Konstruktivismus) gut beschrieben. Hier gehe ich in der Innenstadt spazieren, zum Sprachkurs oder beispielsweise mir das Deutschland Europameisterschaftsspiel anschauen. Die Straßen sowieso schon eng, gedrängt und schmal und die Leute weichen mir nicht aus. Also sie weichen mir nicht aus, so dass ich ausweichen muss, wenn sich unsere Wege kreuzen. Das bringt mich unterbewusst doch in eine Stresssituation, da man sich irgndwie eingeengt fühlt.
Das liegt letztlich an der unterschiedlich wahrgenommen Körperdistanz. Lateinamerikaner haben eine andere natürliche Distanz zum Gegenüber als Westeuropäer und Nordamerikaner.
Das Beispiel Paul Watzlawicks illustriert dasselbe Prinzip; in einem Reitclub in Sao Paulo, Brasilien musste die Terrasse umgebaut werden bzw. das Geländer erhöht werden. Warum? Den Club besuchten sowohl Europäer als auch Lateinamerikaner; während diese sich unterhielten, wichen die Europäer meist unwillkürlch ein Schritt zurück, da die Distanz für sie meist als zu aufdringlich empfunden wurde. Andersherum wurde die Distanz als zu weit weg empfunden für die Brasilianer, weshalb diese wiederum heranrückten, so dass die Gringos, also Europäer, von der Terrasse fielen. Hups!
Dass sich dies im Verkehr auch sehen lässt, liegt nahe. Busse, die sich mit 5 mm Seitenabstand überholen, Fußgängerwege, die von Autos abgeschnitten werden, der Fußgänger flüchten muss oder die Fußgängerampel ignoriert wird, sind keine Seltenheit. Dennoch möchte ich nochmal sagen, dass ich hier lediglich über Unterschiede schreibe und diese keineswegs werten möchte!
Vielleicht eine andere Sache, die auch anders ist, mich lediglich irritiert hat. So wurde ich auf der Arbeit während der Morgenversammlung mit allen anwesenden Kindern, Praktikanten und Erziehern/Lehrern gefragt, ob ich eine Freundin hätte. Zwei Mal bereits und von einer Lehrerin wohlgemerkt. Das wäre in Deutschen Lande wohl nicht passiert. Auch berichtete meine Sprachlehrerin Romina, dass sie am Anfang sämtlich solche Fragen gestellt habe, typisch argentinisch eben, auch Fragen über den/die Freund/in. Mittlerweile macht sie dies nicht mehr, nachdem eine Schülerin in Tränen ausgebrochen ist und ihr ein Schüler erklärt hat, dass dies privat sei und sie nichts angeht.
Für mich hat dies aber eine positive Seite, dass die Trennung zwischen Privat und Arbeit nicht so streng ist. Auch beim Gemüsemarkt, bei dem ich um die Ecke regelmäßig Obst einkaufe, halten wir meistens ein Smalltalk, wie es geht, über das ständig wechselnde Wetter, die Sprache und überhaupt. Dies passiert hier –zumindest in Córdoba – bei sehr vielen Gelegenheiten. Anfangs – natürlich mit Sprachproblemen und sowieso – habe ich mir da noch ein Kopf gemacht, wie ich so was überhaupt sage und was ich dann auch sage. Aber auch, wenn es „Wie geht’s?“ „Gut und dir?“ „alles okay“ ist, weiß man immerhin, wie es dem anderen geht (auch wenn man gut sagt, wenn es nicht gut geht;) Wie das wohl bei Edeka oder Kaufland an der Kasse wäre? Sicherlich ungewohnt, dennoch versuche ich das beizubehalten, mal sehen, ich bin gespannt.
Was Romina aber eben auch meinte, dass generell die Mittel- und Nordeuropäer als zu individuell oder egozentrisch wahrgenommen werden, da sie sich selten nach den Befindlichkeiten der Argentinier/innen erkundigen. Was auch daranliegt, dass Argentinier/innen von Natur aus viele Fragen stellen und auf das Soziale mehr Wert legen. Dennoch merken sie genau, wenn der andere dies eben nicht tut. Ich zum Glück dort etwas ausgenommen, da ich mich von Natur aus für die anderen interessiere und auch frage. Das nächste Mal hoffe ich mehr über das Praktium schreiben zu können. Hasta luego!
Moritz J. Moeller - 14. Jun, 20:16
Es ist mir schon öfters passiert: ich kaufe mir ein Empanada, eine typische argentinische Teigtasche, gefüllt mit unterschiedlichen Spezialitäten. "Eso es con carne?" frage ich, also, ob es mit Fleisch gefüllt sei und ob es denn auch welche ohne gäbe? Ja, müsste es auch geben. Kurz darauf beiße ich in eine Teigtasche mit Schinken und Käse. Das ist mir schon öfters passiert und für Vegetarier etwas ungewohnt zugegebenermaßen. Wenn auch lecker. Es brauchte etwas Zeit bis ich begriff, dass alles Fleisch, was nicht von der nationalheligen Kuh (vaca) stammt, gar nicht erst als Fleisch angesehen wird. In der Logik des Landes könnte ich als Pflanzenfresser also wunderbar Pollo (Hühnchenfleisch), was es hier n extra Läden dafür gibt (Pollerias) und Schweinefleisch essen und hätte kein schlechtes Gewissen.
Zudem gibt es hier nicht die Massentierhaltung, wie es sie bei uns gibt, da es um einiges mehr Weideland gibt. Andererseits gibt es hier noch einiges mehr an Potential für Vegetarier, etwas zu ändern und Alternativen zu schaffen. Dennoch bedarf es hier dafür einiges mehr an Idealismus zweifelsohne, da es fast kein Soja oder andere Substitute gibt ;).
Berühmt und berüchtigt sind die Asados, Barbecues, bei denen die ganze argentinische Familie ausführlich zusammen grillt und bei denen es nur Fleisch gibt. In der Fleischerei kann man sich alle Teile einer Kuh beispielsweise einzeln kaufen. Jedoch zu unterschiedlichen Preisen, denn der Nacken ist „besser“ bzw. teureres Fleisch als die Wade.
Diese Woche aß ich zum ersten Mal Locro; eine Art Maiseintopf. Meistens mit Fleisch, logisch, aber recht lecker. Dieses Gericht gibt es immer zu hohen Feiertagen, wie bei uns am 25. Mai, dem Tag der ersten autonomen Regierung (1810) und somit Beginn der Unabhängigkeit.
Letztes Wochenende bei einem Ausflug auf dem Lande, wo ich mit zwei Freuden war, sind wir einer großen Kuhherde auf einem Feldweg begegnet. Erst etwas später sahen wir dann, dass auch ein älteres Ehepaar in der Nähe der Kühe war, da sie die Besitzer waren. Besser gesagt wir hörten sie, da sie eine Art Kuhsprache sprachen. Auf der großten mit Wildgräsern, Sträuchern und Bäumen bewachsenen Heideläche, auf der die die Kuhherde verstreut graste, mussten die Kühe zusammengetrommelt bzw. gerufen werden. Und sie hatten die Kühe mit Salz zu füttern, als Nahrungsergänzungsmittel. Dazu mussten alle Kühe zum Futtertrog kommen. Ein schönes Erlebnis, die Kühe aus nächster Nähe zu sehen, auch wenn ich sie nicht verstand...
Auch beschwerte sich das Ehepaar, da die kirchneristische Politik nicht die Bauern und Viehzucht unterstützt. Insgesamt denke ich, muss ich doch noch zumindest einmal ein berühmt berüchtigtes argentinisches Steak kosten. Schon einmal hier, wäre es fast eine Schande, dies nicht zu tun ;). Olé
Moritz J. Moeller - 30. Mai, 03:55
So langsam überkommt der Alltag die Realität, wenn man das überhaupt sagen kann bei einem 20 wöchigen Praktikum und einem 200 Tage dauernden Aufenthalt. Gut aus Chile gelandet, verschnauft, wieder mehr in die Sprache reingefunden und los geht’s. Aber todo tranquilo (alles entspannt). Wie kann man sich die Einrichtung vorstellen, in der ich das Praktikum absolviere? El Puente – die Brücke – gehört zur Fundacion Manoni. Es handelt sich dabei um eine Sonderschule, in der Kinder zwischen 5 und 13 Jahren gehen und die speziell gefördert werden. Bei einigen besteht die Möglichkeit, dass sie auf eine staatliche Schule eventuell wechseln könnten. Dabei sind die Unterschiede der Kinder relativ weit gefächert und reichen von Trisomie, über Lernbehinderung/Verhaltensauffälligkeit bis zu Autismus.
Konkret: Es gibt verschiedene Workshops, die teilweise obligatorisch, teilweise gewählt werden können. So gibt es Mathe und Sprachunterricht (Pädagogik) wie auch so etwas wie Sachkunde. Demgegenüber auch Workshops música, pintura, futbol oder Theater und Kochen. Alles in allem, also ziemlich abwechslungsreich und gerade in den ersten Wochen tanzen noch viele unsichtbare Fragezeichen über meinen Kopf. Glücklicherweise sind die Kinder meistens sehr aufgeschlossen und haben mich schnell aufgenommen in den Kreis. Mit ca. 40-50 Kindern ist die Schule verhältnismäßig klein und lässt sie so recht überschaubar und familiär werden. Relativ schnell ist mir aufgefallen, dass die Lebenseinstellung auch auf der Arbeit anders ist, wenn auch nicht in dem Maße. Es gibt relativ lange Pausen und wenn 10-15 Minuten später angefangen wird, ist das auch nicht so schlimm. Aber vielleicht fällt das auch nur meinem preußisch geprägten Ordnungsdenken auf ;-).
Glücklicherweise kümmert sich Mariano um mich, wie auch um die andere Praktikanten. Ein Mitte 40 jähriger Pädagogie/Psychologe, langes graues Haar und dank seiner Freundin, die Deutsche ist, versteht er sogar ein wenig deutsch. Wenn auch nur ein bisschen, versteht er zumindest, wie es ist, wenn man nicht gleich alles versteht. Im Herbst möchte er seine Freundin in Deutschland besuchen und eine Ostdeutschlandtour machen durch Jena, Dresden, Berlin usw. Allerdings musste er 2 Jahre für den Flug sparen, da die Verhältnisse doch etwas anders sind. Die meisten anderen Praktikanten sind aus den Fächern Psychologie und Psychopädagogik, einer Mischung aus Pädagogik und Psychologie, was es hier als eigene Studienrichtung gibt.
Mariano brachte einmal in einer Reunion (Teamsitzung) die vergleichende Geschichte an, von einer Deutschen, die in einer anderen ähnlichen Einrichtung arbeitete, auch mit Menschen mit Behinderung. Auch sie verstand sehr wenig am Anfang und eines Tages fragte sie ein Kind, ob sie auch behindert sei, da sie manchmal anders antwortete als die Fragen waren oder Ähnlichem. Sicherlich, Nicht-Verstehen als Nichtteilhabe an Prozessen und Aktivitäten usw. das kann man auch als eine Art Behinderung sehen. So ähnlich muss es sich dann womöglich für manche Menschen relativ häufig, wenn nicht sogar täglich anfühlen.
Insgesamt denke ich, dass es ein guter Ort für ein Praktikum ist sowie zum Lernen des Spanisch weiterhin, da man einen natürlichen Zugang zur Sprache hat und manchmal anderer Sachen wichtiger sind wie die Präsens, Spielen und einfach mitmachen. Ich hoffe bald neue Eindrücke schildern zu können, momentan bin ich erst einmal dank einer Bronchitis außer Gefecht gesetzt. Es gibt in den Häusern keine Heizungen, nur radiatorenähnliche Heizkörper und so wird es doch gerade nachts sehr frisch, was ich als wohltemperiert-verwöhntes mitteleuropäisches Kind gar nicht so gewohnt bin;-(
Moritz J. Moeller - 5. Mai, 20:05
Am dämmrigen Abendhimmel sieht man die Anden im watteweißen Wolkendunst eingehüllt, ich im Flugzeug und vorfreudig gespannt. Anlass ist mein einwöchiger Trip nach Santiago de Chile, um Gesa, eine Freundin zu besuchen. Dankbarerweise kann ich bei der Gastmutter Yali, die sehr herzlich und gastfreundlich ist, mitwohnen in einer kleinen, einfachen, aber hübschen Wohnung im Zentrum der Stadt. So wie sie die anderen Untermieter/-innen „Hijos“ (Kinder) nennt, die sie beherbergt, um das Studium ihres Sohnes zu bezahlen, so war ich auch ein Kind(-chen).
Im Gegensatz zu Argentinien ist in Chile wesentlich mehr privatisiert worden und die Unis nicht öffentlich und vom Staat finanziert. Ein eher neoliberaler Kurs, der in den 90ern in vielen Staaten Lateinamerikas adaptiert wurde. Bisher gilt Chile als eines der ökonomisch stabilsten Länder, auch wegen der stringenten Ausrichtung an US Wirtschaft und Politik. Dennoch kann eine zu starke Abhängigkeit auch eine Gefahr werden wie dies 2001 in Argentinien im Staatsbankrott endete.
Gesa, die ich dort besuchte und seit Gymnasiumzeiten kenne, arbeitet in einem Start-Up-Unternehmen. Wenn man eine gute interessante Idee hat, die realistisch umzusetzen ist, kann man sich anmelden. Die Chilenische Regierung hat ein Großprogramm für ausländische Unternehmensideen gestartet, so dass jede Geschäftsidee mit 40.000 US $ vom Staat gefördert wird und gleichzeitig ausländisches Kapital ins Land akquiriert. So kommen viele Leute aus USA, Kanada, Frankreich, Germany und anderen westlichen Ländern. Es gibt also viele „Gringos“ – ein Begriff aus der US-Besatzerzeit – „Green go“, gemeint waren die größtenteils weißen Soldaten (in grünen Uniformen), weshalb hellhäutige Leute nach wie vor als Gringos bezeichnet werden. Yali, die Gastmutter, meinte dennoch, dass das Geld lieber in soziale Projekte gesteckt werden solle und so die Schulbildung leichter finanziert werden könne, was mir als logisch erscheint. Dennoch ist die Wirtschaftsphilosophie in Chile traditionell eine andere.
Auch mit Gesas Mitbewohner „Orpheus Rising“, unter bürgerlichen Namen Miguel Navarette,verstand ich mich gut. Ein Spitznamen wie es zu einem illustren, barfußlaufenden Philosophiestudenten, der jedes Hippietum dennoch bestreitet, ganz gut passt Sein Vater aus Chile in die USA eingewandert, seine Mutter Amerikanerin, studiert er ein Semester in Santiago und sein Lieblingsdichter ist Rainer Maria Rilke. Auch alle seine Lieblingsphilosophen sind deutschsprachig, wie -der etwas umstrittene- Heidegger. Auch so begegnet man “Heimat“ fernab. Jedenfalls bin ich so mal dazu gekommen einige Gedichte Rilkes, auch Pablo Nerudas zu lesen und auch darüber zu sprechen.
Wie dem auch sei, Santiago ist eher eine Stadt nach westlichem Vorbild – Überraschung – eher könnte man denken in einer Mischung aus europäischen und US-City zu sein als in einer Lateinamerikanischen Metropole. Neben dem Dichter Pablo Neruda Haus (die Chilenen sind sehr stolz auf ihre beiden Literaturnobelpreisträger), einer aussichtsreichen Sicht von Sankt Cristobal mit einer riesigen Marien-Statue und dem Präsidenten Palast „La Moneda“ mit einer überdimensionalen, surrealistisch großen Chile Flagge, hat mich besonders das Museum der Menschenrechte interessiert, positiv überrascht und begeistert.
Moritz J. Moeller - 19. Apr, 03:03
In vielen Reiseführern ist von der eher konservativen Haltung der Chilenen zu lesen, deren Zurückhaltung und eher introvertierter Charakter, wenn man das mal so pauschalisieren darf. Auch gerade im Gegensatz zu den Argentiniern gibt es einige Unterschiede zwischen beiden Ländern, die sich nicht nur wegen der umstrittenen Grenzziehung in Patagonien nicht besonders gut verstehen. „Chile werde von Argentinien an den Pazifik gedrückt“ meinte Yali, die Gastmutter, und auch dass der General und Diktatur Pinochet britische Truppen hat landen lassen, um die Briten beim Falklandkrieg zu unterstützen, wird nach wie vor von den Argentiniern nicht vergessen.
Dennoch zeichnet das Museum der Menschenrechte ein ganz anderes Bild. So sind zahlreiche Gedenkstätten im ganzen Land zu sehen, Filmaufnahmen des Staatsstreiches. Es ist sicherlich schwierig ein Museum auch den Opfern gerecht zu gestalten, die während der Pinochet-Diktatur umkamen oder verschwanden. Beispielsweise gibt es eine riesen Fotowand über zwei Stockwerke, auf der sämtliche Passbilder von Desaparecidos zu sehen sind. Ziemlich beeindruckend, insgesamt gab es 250.000 Exilierte und weit mehr als 27.000 Gefangene und Folteropfer sowie konkret 2.095 Todesopfer. Auch beeindruckend sind die Aufnahmen des Umsturzes und der letzten Rede Allendes am 11. September 1973 (auf das sich auch die Überschrift bezieht), kurz vor seinem Suizid höchstwahrscheinlich. Eindringlich auch die Folterinstrumente, die zu sehen sind und Zeitzeugenberichten von Angehörigen und Betroffenen. Allgemein ist die andere Seite der Opposition wie die der Kirche, insbesondere des Erzbischofes von Santiago Raúl Silva Henríquez, interessant dargestellt und zeigt, dass die oppositionelle Bewegung auch aus der Mitte der Gesellschaft kam.
Yali, die Gastmutter berichtete auch, dass von ihr einige Freunde verschleppt worden waren zu Studentenzeiten. Andererseits hat sie auch erzählt von der schwierigen Zeit zuvor, bürgerkriegsähnliche Zustände, Nahrungsmittelknappheit und allgemein eine ziemlich prekäre Lage in Chile. Daher erscheint der Putsch in Ansätzen nachvollziehbar, was aber natürlich keineswegs eine Rechtfertigung ist. Noch 1990 waren 41 % der Chilenen der Meinung, dass es 1973 keine andere Möglichkeit als den Putsch gab.
Auch gab es Protestsongs zu hören von chilenischen Liedermachern und die Aufzeichnung einer riesen Festlichkeit 1990, nach dem Ende der Diktatur im Nationalfußballstadion in Santiago. Der damalige Präsident und Christdemokrat Aylwin (1990–1993) wählte den symbolischen Ort, weil auch im Stadion souterrain viele andersdenkende Menschen makabererweise gefoltert wurden. So sollte dies als Erinnerungs- und Gedenkort fungieren.
Dennoch handelt es sich um ein Phänomen, das schwierig zu verstehen ist. Große Teile der Upper-class und der mittleren Oberschicht rund um Santiago feierten Pinochet als „Retter der Nation“ und die Gesellschaft ist tief gespalten mit dem Erbe. Die Aufarbeitung ging schleppend voran, weil nach seiner Zeit als Präsident Pinochet weiterhin Oberbefehlshaber des Militärs war
und er so viel Einfluss hatte.
Interessant in diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass die frühere Präsidentin Michele Bachelet ebenso Exilantin war in der DDR, die viele Flüchtlinge aus Chile „aus sozialistischer Solidarität“ aufnahm. So lebte sie eine Zeit in Potsdam, Am Stern und hatte eine Kinderarztpraxis, woher meine Eltern sie kannten. Ihre Position war, dass es nach Pinochets Tod kein Staatsbegräbnis geben solle, sondern eines des hohen Militärs, was nicht unumstritten war.
Schlussendlich geht es wieder nach Argentinien mit vielen Eindrücken und ich wurde -Gott sei Dank- verschont von Margot Honecker mit dem Gartenschlauch bespritzt zu werden, obwohl sie aus dem Exil wieder Interviews gibt. Hola Chile, Adé!
Moritz J. Moeller - 19. Apr, 02:45
Noch nicht lange her und doch im Medientrubel um Günther Grass‘ Gedicht schon im medialen Fokus längst wieder im Abseits. Schließlich war kürzlich der 30-jährige Gedenktag des Falklandkrieges und alles mittlerweile ad acta gelegt. Könnte man denken als außenstehender Beobachter, der eventuell davon schon mal gehört hat, aber durch Tagespresse und anderen Medien logischerweise nicht weiter darüber informiert ist.
Ganz anders hier: Dem Tag des Kriegsbeginns 1982 wird öffentlich gedacht und ausführlich in allen Zeitungen- und Radio und Fernsehen besprochen. Am 2. April erklärte die argentinische Militärjunta Margot Thatcher bzw. Groß Britannien den Krieg, um von innenpolitischen Problemen abzulenken und verlorengegangene (bzw. nie vorhandene) Sympathien zu erlangen sowie nationale Identität zu konstruieren. So war auch hier am Montag Feiertag. Die Sprachschule gab netterweise dennoch Sprachunterricht ;-).
Ohne ausführlich den Hergang des Krieges erklären zu wollen; nach wie vor sind die Falklandinseln in britischer Hand und gehören zum Commonwealth. Dennoch ist es für mich erstaunlich, wie wenig akzeptiert hier die „Okkupation“ ist. Politisch denkende Menschen aller Couleur, von links, linksalternativ, mitte-links bis natürlich zum rechten Flügel, sind sich einig, dass die Malvinas/Falklandinseln zu Lateinamerika gehören und wie ein Fremdkörper wirken, bei dem es sich um Fremdokkupation handelt. Auch junge Leute mit denen ich gesprochen habe und die ich eher als linksalternativ einschätzen würde.
Aus außenstehender Sicht – weder pro GB noch pro Latinoamerika – könnte man nüchtern konstatieren, dass nach einem verlorenen Krieg die Sachlage geklärt ist. Zumal die argentinische Regierung – wenn auch die unliebsame Militärjunta- den Krieg begonnen hat. Wozu braucht ein Land so groß wie der Subkontinent Indien noch die paar Inseln, die 395 Km von der Küste entfernt liegen, auf der ca. 2000 englischsprachige Einwohner, Schafe und Pinguine leben und auf der es ungemütlich frisch ist?
In etwa ähnlicher Weise- wenn auch nicht ganz so polemisch- habe ich die Frage natürlich Einheimischen gestellt. Wozu der Feiertag für einen verlorenen Krieg? Um den Opfern zu gedenken – es wurden Schüler aus Nordargentinien eingezogen, die sehr jung waren. Es gab 3-mal mehr Opfer auf argentinischer Seite als auf britischer. Absolut verständlich. Warum wird noch immer die Illusion im kollektiven argentinischen Unterbewusstsein aufrechterhalten, dass sie zu Lateinamerika gehören? Weil sie historisch zu Südamerika gehören und es früher spanischer Besitz war. Dann hätte es direkt an Argentinien gehen müssen. Letztlich, so die Argentinier, sei im 21. JH „neo-kolonialer“ Besitz anachronistisch.
Nun ja, schlussendlich weiß ich nicht, was ich von alldem halten soll. Sicherlich ist hier der argentinische Patriotismus noch anders und als in Deutschland geborener (bzw. DDR) und mit einem mit kollektiver Schuld behafteten Bewusstsein aufgewachsen, ist jeder Form von Territorialansprüchen mir sowieso fremd. Spannend dürfte allerdings das Viertelfinale England-Argentinien der WM 1986 gewesen sein, wie meine Sprachlehrerin berichtete. Nur vier Jahre nach dem Krieg, soll hier die Hölle losgewesen sein nach dem Spiel. Nicht nur Maradonas „Hand Gottes“ und das „Schönste Tor der WM-Geschichte“ ebenfalls von Maradona dürften den argentinischen Fußballfans und Sympathisanten tiefe Befriedigung gebracht haben. Immerhin im Fußball.
Moritz J. Moeller - 6. Apr, 14:46